Vladas Braziūnas (geboren 1952), wuchs in Pasvalys im nördlichen Litauen auf und studierte Journalismus und Philologie in Vilnius. Er hat an vielen kulturellen und literarischen Publikationen mitgearbeitet und war Chefredakteur der Wochenzeitung “Literatūra ir menas” (“Literatur und Kunst”).
hier ist die krone, hier verdecken die haare
ihr gesicht, und hier ist ein junge, klein
ohweh, ich hab die hände noch nicht gemalt
großer Gott und götterlein
mit ihnen muß er sich ans leben klammern
mit ihnen schützt er sich vorm leben, schau
wie blass meine stimme, nicht schrein, nicht rennen
ich bin müde, sind sie zurück oder scheint es nur so
sieht, so gebeugt, bisschen aus wie ein mann, bisschen
wie die madonna mit dem kind, ein blätterkranz
ich geh ein weilchen mit dir ins freie, in den ritzen
zwischen den balken: grünes moos vom letzten jahr
dieses jahr bist du einen daumenbreit größer
höher und höher steigen die kerben im türstock
der alte einschnitt zieht sich im winter schön zu
ein neuer tut sich auf, eh sich das jahr verkrümelt
so wächst ein haufen späne, mit roten
regenwürmern zu füßen, und großmutter ist froh
wenn du ihr konfekt aus fondant in bunten
papierchen vom markt bringst, brummend
kommt der frühling, zieht ab, droht, ich komme
nicht zurück, das rückgeld kannst du behalten, zurück
bleibt trübes wasser in den furchen, ich habe es satt
ständig zurück zu schauen, ob da etwas war, vielleicht
die blumenverkäuferin mit den blumen vom bild
ich habe nichts dagegen, ich warte
bis die wolke das licht allen lebens vertilgt
bis das haar reißt und sie kopfüber ins feld fällt
als ich fuhr auf gleisen, die unglücklich waren und heiß
warst nicht du an meiner seite und das land war nicht meins
durchstreife die berge, die täler, den geruch von schweiß
das feuchte lindenblatt steck ins verstopfte knopfloch rein
zugeknöpft, dann aufgeknöpft der kragen des alten jacketts,
welch trunkenes schiff trudelt über den schotter?
erinnerts dich nicht an den trunkenen, torkelnden albatros?
baff, mit offenem mund, legt europas westen die trasse nach osten
die abende legen sich zur ruhe ins gebüsch in den tälern
den mohnblumen fallen die augen aus, an den gleisen der lehm
blüht blau, und der mond treibt sich herum, an einem planeten
bleibt er hängen, am saum einer wolke, an einer e-mail
ich aß, wie du befahlst, das schweinefleisch hier ist vorzüglich
wir tranken nach dem essen auf sein wohl, Gott geb ihm gesundheit!
im mondschein am feuer saßen wir, aßen würstchen
und sahen schlösser, gefängnisse, für männer nach rechts die örtchen
wir bogen und erholten uns vom wein, und vom glauben
schmolzen die eisernen meilen, sie zogen davon mit den winden
zogen davon mit dem dampf, der schlacke, den ledigen bräuten
mit den tückischen, immer schärferen fotos, mit entfernungen von-bis
gewesenem, erfundenem... siehst du, wie das töchterchen auf dem topf sitzt?
hörst du, wie sie lacht im schlaf? ihre augen werden grüner, siehst dus?
ich liebe dich wie meine schwachen augen, die immer weniger sehen,
ich sehne mich nach deinem atem, der sich nach meinem atem sehnt
was lesen diese blicke auf den fotos in meinen augen
die nicht versinken und sich nicht spiegeln können
in den augen ihrer toten augenblicke, doch dauernd
starren – was gehen sie mich an
wie soll man heute sagen, wozu sie auf berge stiegen
aus höhlen krochen, im kreise standen vorm blitzlicht
wieso ihr boot so schwankte, der frühherbst glitzerte
wie messing, die kindheit jauchzend wiederkehrte
taufe und kreuz gabs, die wiege des säuglings, den korb
des winzigen lämmchens, dann starben sie, erstanden auf
großvaters gehrock voll tabakgeruch, noch immer zu groß
und der roggen und auch der kornblumen blau
sie stachen und stechen, die blicke auf den fotos, sie lesen
selbst meine erhitzte, meine einzigartige iris
und begegnen sich glücklich, und ich, wenn ich dann
selbst jemand bin, der dich betrachtet vom jenseits her
will glauben, dass niemand diesen blick
mir nimmt, damit du ihn klar sehen kannst
wenn du von einem dompfaff träumst
auf weißem schnee – katharsis, blut,
wenn durch den schlaf du wörter streust,
dei mund verwandelt fluch in segen,
vergiesst in dunkler angst du tränen,
verdorrt der arm, der dich noch trug,
dann naht der morgen, du vernimmst,
des dompfaffs röte hallt am himmel,
wir sind des nichts, uns richtet und zerstört
und dreht und dreht sich – Gott, dies drehen –
hoch oben, über uns der große nebel,
so irdisch dieser strom, der uns verzehrt.
geklammert an des traumes blanke klingen,
gedanken, nackt, suchst du dich zu erinnern,
die dinge fügen sich nicht, nun verwaist,
und schnee und vogel zieben in ein buch,
verlassen bleibt zurück das alte gut
und unser schlaf und nicht mehr unsre zeit
Vilnius 3.03.–12.05.1984
Poezijos kalbos kraštovaizdžiai = Sprachlandschaften der Poesie = Абсягi паэзii / European Borderlands. – Vilnius–Minsk: European Borderlands, 2009. – P. 30.
gesegnete furcht versagte den blick zurück, hin zu
den lippen, zu worten, schon fremden, führte ihr spalt,
in eine geheime, ungeschehene zeit eines alten,
nie geboren oder eines nie gewesenen kindes
tatsächlich barg das dämmer des rätsels die größte
von aller zeit vergessene nacht, nicht unsere nacht wars,
hörst du die pfeiler der kirchen sich biegen, hörst du,
das vertiko segnen greisin und milbe, emsig auf alte art
auch jetzt unterm kalkdach der erde, aber
der käse, die früchte, das öl der oliven, das brot,
der verbotene wein, bei dessen begräbnis ich sah,
sie waren nicht tot, ihr blut noch klebrig und rot.
ich ging zur quelle im hain der eichen das feuer zu bringen,
es reinigt das blut für die götter, macht farblos und klar,
besiegelt dein schicksal, mein unheil bestimmt es
und weiß wird die seele wie ein mit kreide gefüllter magen.
die spinne, sie webt, es ist dein faden, der rinnt aus
dem leib der edlen göttin, dem sich zerstreuenden leib,
aus siebenwöchigem regen – im neunten himmel
gekettet wir an jenen brunnen, seinen einsturz bezeugt
die trübung des himmels, die stille auf erden,
die kehle verschnürt, die beine gelähmt von furcht,
vielleicht vom fallen ins grab, gewahrte ich durch
den spalt zwischen lippen, im sarg, im brunnen, einstige füße beim gehen
ein wachsen und schwinden, so keimen mit sprießenden wurzeln
vermutungen auf, sie prasseln herab, sie nagen am stein,
so bricht, zersetzt altes wissen, älter als ebbe und flut, deine brust,
so schlüpft seine schwester, die natter, durch den von der sünde vergifteten spalt
so drückt uns nieder die bürde der eigenen kraft,
ich wage nicht mich zu regen, zu rühren an wartende worte:
der regen wird dauern, nun regnet es länger als sieben wochen
im neunten himmel, wo das niemandsgras wurzelt, erstarkt.
Poezijos kalbos kraštovaizdžiai = Sprachlandschaften der Poesie = Абсягi паэзii / European Borderlands. – Vilnius–Minsk: European Borderlands, 2009. – P. 28.
trois pensées musicales
1
nachts blühen goldbraun deine brüste,
salbt uns der holde üppige august
mit andächtiger hellsicht, wesentlich
sind wir – nach unsern atemzügen,
der ode unsrer ruhelosen lippen,
den gartenäpfeln verlangt der dunst im tal,
in ihn gehts du hinein, ermattet, langsam,
du folgst der nachtigall, treibst im gesang,
noch längst tagt es nicht, noch lodern flammen,
wogen der blätter adern, weiße stämme
du meine Sanfte! umarme deine knie
kleiner grauer talisman der liebe
sei lautlos in der stille, bleib sitzen, weine
und warte bis an meinen fingern la voix
d’enfant ausströmt, groß ist die nacht
für diese letzte opfergabe, Gott
2
es rauchten feuer, die majorane welkten,
im dunkeln stieß der pflügt auf schädel.
wir beide angespannt, mein körper dringt
in deine nacht ein, irrlichter glimmen
in dieser nacht, die flut spült in dein zimmer
den nachen, knochenbleich, verschollene
trug er einst in die schwarze nacht davon,
nachtschwarz erglühen ihre augenhöhlen,
doch du siehst, wie erlösung die leuchtenden
gesichter der wögel dieser nacht beseelt,
verstehst die größe des vergänglichen:
die feuersbrünste, ach, die wielen kränkungen...
wenn ich sie zähle, bleiben nur wir beide
und der geborstne saum des brandaltars –
dieser moment verlangt nach hellsicht,
du meine Sanfte! umarme, wärme mich,
zu holz vertrocknen meine weißen arme,
benetze ihre rinde in den flammen,
drück an dein herz den blinden Gott
selig chantant dans la coupole
3
du kleiner grauer talisman der liebe,
auf rispen musiziert der abend wie Verlaine,
im lippenblütenbett versinkt
die furche, gerade, golden wie ein scheitel,
und leise flattert feuerrotes heidekraut
am kopf des kiefernwalds, noch glüht
die wolke, als sei nichts vergessen:
die brust, verwundet, und der harnisch,
sie scheiden freiheit – unfreiheit.
schon pflückt mit kalter hand
die uferschwalbe deine dunkle frucht,
doch wir sind rechtlos in der stadt,
wo man nicht freund noch feind kennt,
und nur im traum, ganz leise,
entfalten deine blüten andre hände,
und ich erblicke staunend eine geheime
welt, in der mein lied erlösung findet:
du meine Sanfte! blühende arme,
umfangen uns, sie spüren unser
fiebern, verbinden uns die brust
und geben uns wermuttee.
du meine Sanfte! der drossel delirieren
im morgenrot vernehme ich nicht mehr,
auf unsere berührungen giesst sie das licht
der sterne, entflammt den letzten tropfen,
da unser je vous aime hoch oben bricht.
in meinem leben als pferd
war ich ein schlachtroß, bei einer bestattung
nach einem turnier im frühen mittelalter hetzten
mich prußen bei lebendigem leib in die grube
gebückt lag ich da, die vorderbeine
angezogen, an den brustkorb gedrückt, knacks
der erste und zweite halswirbel, meine augen
folgten der sonne übers meer zu den svearn, mit erhobenem
hinterteil
in meinem leben als pferd
schwitzte ich in einem deutschen schacht in Banská Štiavnica
in höllischer dunkelheit, erblindete
in einer neumondnacht
aus dem stall kam ich erst nur im dunkeln
auf die weide, gewöhnte mich langsam
an den zunehmenden mond, die scheuklappen allmählich
geweitet
in meinem leben als pferd
trug ich Mickiewicz von Nowogródek nach Wilno
irrte dann durch die straßen der stadt
auf hölzernen kothurnen
alle kamen zu sterben im geliebten land, in Vilnius
jetzt geistere ich durch Belmont
manchmal auch durch Sereikiškės
ich fürchte diebe und autos
am schlafittchen pack ich polizisten
von der farbe der fernen wälder
in einem anderen leben war ich eine nachtigall
an der Donau in der stadt der berge und täler,
in Litauen, land der wälder, wiesen und felder
weckte ich die leute zur heumahd
in meinem leben als vogel
war ich die ganze helle nacht vom mai zum juni
wie von sinnen, lief die ganze nacht in Bratislava
um die wette mit den vögeln des abends
und dann mit vögeln des morgens, sie alle
schrie ich nieder, in der früh überfiel
ein rasender kuckuck trotzdem den nackten poeten
nur cents in der tasche, die tasche in einem anderen zimmer
was bleibt sind liebe, tod und rekruten
zwitscherst du selbst wie ein kuckuck
in meinem leben als dichter
bemerkte ich, dass alle französinnen – beim fahren,
liegen, fliegen – mich einschläfern, kaum sind sie da,
damit ich nicht reden muss
mit wörtern oder händen, mit heißen
fingerspitzen, mit mundwinkeln,
träume ich im geschlossenen raum
Banská Štiavnica – Bratislava – Vilnius 1.6.-25.9.2003
Für Norbertas Vėlius
drei kleine Hähne krähen noch
dem Sonnenaufgangsmenschen ins Gesicht
eine Blüte sprießt in der Dzūkija
treibt auf dem Nemunas davon
In der Aukštaitija mitten auf dem Feld
steht ein Tisch mit Lein und Brot
und das karierte Wiesentuch
umgürtet erntereichen Rumpf
Pflasterwege in schlammigen Seen
für den Spaziergang des Sonnenuntergangsmenschen
kommt die Blüte angeschwommen und zündet
eine Kerze auf der Aestischen See an
schon dürfen den Herbst wir rufen
einen Fuß über dem Kopf gehoben
den Herbst, aus Garben und aus Feldern
mit Blumenkränzen gekrönt
kommt er heim, setzt sich an den Tisch
wo wir mit süßer Erschöpfung
die schweren Hände betrachten
mit seinen Ästen wird der Abend uns umarmen
(in seinem Schatten habe ich einst gelauscht
wie man uns ruft, doch nicht beim Namen)
der Tisch gedeckt mit Gräsern
und unteilbar und eins sind
unsre Stunden, unsre Tage
und wir werden voller Süße schauen
wie das Messer das Brot vereint